jobs.mainpost.de
Search
jobs.mainpost.de
Haupt-Navigation

26.08.2019

Egoismus in der Arbeitswelt: Würzburger Soziologe zeigt, wohin das führt

Professor Andreas Göbel im Interview. Foto: Fabian Gebert

Wie hängen unsre Gesellschaft und Arbeit zusammen? Und welche Rolle spielt der Egoismus in der Arbeitswelt? Im Interview mit dem Würzburger Soziologe Professor Andreas Göbel versuchen wir, Antworten zu finden. Er erläutert unter anderem die Folge, was passiert, wenn es weniger Solidarität mehr in Unternehmen gibt. 

Frage: Herr Professor Göbel, welchen Wert hat Arbeit heute noch?

Andreas Göbel: Unterm Strich identifizieren wir uns noch immer stark über die eigene Arbeit. Das schnelle Geldverdienen spielt da eine eher nachrangige Rolle. Es geht vielmehr um die Art und Weise, wie wir unser Leben sinnvoll gestalten. 

Ist dieser Wandel der Arbeitswelt das Ergebnis eines gesellschaftlichen Umbruchs?

Göbel: Zumindest finden wir Parallelentwicklungen. Gesellschaftlich erleben wir seit den 1960er und 1970er-Jahren eine zunehmende Individualisierung persönlicher Lebensgestaltung. Das ist vor allem ein Phänomen westeuropäischer und nordamerikanischer Wohlstandsgesellschaften, denn Individualisierung setzt in hohes Maß an sozialer Absicherung voraus. 

Klingt abstrakt. 

Göbel: Ich zeige das gerne an einem Beispiel: Wenn Sie Ende des 18. Jahrhunderts als Sohn eines Schusters auf einem unterfränkischen Dorf geboren sind, wären sie klassischerweise ebenfalls Schuster geworden und hätten später den Familienbetrieb übernommen. Wir sprechen hier von vorgezeichneten Lebensläufen. Individualisierung bedeutet dagegen eine Vervielfältigung persönlicher Optionen. Gibt es die entsprechenden staatlichen Rahmenbedingungen, kann der Schustersohn plötzlich darüber nachdenken, sein Abitur zu machen und später zu studieren.

Erleben wir gerade das Ende sozialer Schichten und Klassen?

Göbel: Das kann man durchaus so sagen. Die traditionelle Arbeiterklasse als Gegenspieler zur Klasse der Kapitalisten – wie es Karl Marx beschrieben hat – gibt es in diesem engen Sinn schon lange nicht mehr. Aber auch die Begriffe "Schicht" und "Milieu" sind als Erklärungsansätze nur noch bedingt geeignet. Das ist eines der großen Probleme der Gewerkschaften genauso wie der Sozialdemokratie und vieler anderer Parteien.

Könnten wir statt Individualisierung von Egoismus sprechen?

Göbel: Ich wäre sehr vorsichtig mit einer allzu engen Verknüpfung von Individualisierung und Egoismus. Aber Sie haben Recht: Die Ich-Bezogenheit in unserer Gesellschaft greift um sich. Bei den Gewerkschaften erleben wir, dass diese Form der Solidarität, das Einstehen für gemeinsame Interessen, in hohem Tempo erodiert. Heute ist sich jeder selbst der Nächste. Das fängt an den Schulen an. Während Schülervertretungen früher gegen Widerstände für die eigenen Interessen gekämpft haben, beschränken sich die Aktivitäten heute auf die Organisation von Unterstufenpartys. Gleichzeitig sinkt die Bereitschaft sich längerfristig in Vereinen und Organisationen zu engagieren – gerade wenn es darum geht, Verpflichtungen einzugehen. Unangenehme Aufgaben werden gerne den anderen überlassen. 

Nochmal gefragt: Hängen Individualisierung und Egoismus zusammen?

Göbel: Da sind wir bei der heiligen Kuh der modernen Gesellschaft angekommen: die Rolle des einzelnen Individuums. Die gesellschaftliche Ausdifferenzierung seit Ende des 19. Jahrhunderts prägt ganz massiv das persönliche Selbstverständnis und die eigene Lebensgestaltung. Es ist das einzelne Individuum, auf das sich alles hin orientiert. Das bedeutet aber auch: Jeder ist seines Glückes Schmied. Jeder muss aus seinem Leben etwas machen und daraus resultieren natürlich Egoismen. Mittlerweile sind wir soweit, dass diese gesellschaftlich honoriert und bisweilen sogar erwartet werden. Beispielsweise erleben wir durch den Druck am Arbeitsplatz und die vielfältigen Karriere-Ambitionen ein ausgeprägtes Konkurrenz-Denken innerhalb der Betriebe – gegeneinander statt miteinander. 

Das ist ein Konzept, das gar nicht zum gewerkschaftlichen Prinzip der Solidarität passt. Welche Folgen hat das für die Arbeitswelt? 

Göbel: Nun ja, die Unternehmen und deren Verbände sind heute so machtvoll, weil ihre Gegenspieler – die Gewerkschaften – mit sich selbst beschäftigt sind. Wenn in den Betrieben die Bereitschaft zur Solidarität verloren geht, erodiert das Tarifsystem. Am Ende verlieren dabei die Beschäftigten.

Sind die Arbeitnehmer selbst schuld? 

Göbel: So einfach sollte man es sich nicht machen. Damit blendet man nämlich aus, dass in Zeiten prekärer Beschäftigung auch die Risiken gestiegen sind. Grundsätzlich richtet der Einzelne sein Handeln immer an den erwarteten Folgen aus. Wenn ich mich von einem befristeten Job zum nächsten hangele, ist die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ein großes Wagnis. Letztlich haben viele Beschäftigte schlichtweg Angst. 

Geben wir nicht momentan viel auf, was Generationen vor uns erkämpft haben?

Göbel: Ganz persönlich würde ich sagen, dass momentan viele Sicherheiten verloren gehen. Dazu gehört auch ein Paradigmenwechsel in der Arbeitsmarktpolitik. Die Einführung des Hartz-IV-Systems und die Ausweitung des Niedriglohnsektors sind auch eine Reaktion auf den Einstellungswandel in der Gesellschaft. Plötzlich wird der Einzelne viel stärker in Verantwortung genommen. Ich bin gespannt, was die Kapitalisierung unserer Gesellschaft mit den Individuen macht. 

Dagegen wehrt sich aber kaum jemand. Sind wir als Gesellschaft übersättigt?

Göbel: Ja dieses Phänomen gibt es. Als es beispielsweise um die Privatisierung der Altersvorsorge ging, gab es keinen Aufschrei. Auch deshalb sind wir, was den Standard unseres Wohlfahrtsstaats betrifft, nicht mehr auf dem Level der goldenen 70er-Jahre. Aber ein Blick auf den Globus zeigt auch: Es könnte weitaus schlimmer sein.

Zu viel Ego am alten Arbeitsplatz? Finden Sie hier eine neue Stelle mit freundlicherem Arbeitsklima!

Teilen per:

Facebook
LinkedIn
E-Mail
Twitter
WhatsApp
Xing

Passende Blog-Artikel

Jobbörse

Jobbörse der Arbeitsagentur Würzburg und Schweinfurt im Überblick

Fachkräftemangel, „War of talents“, Digitalisierung: Wer einen neuen Job oder eine Ausbildungsstelle sucht, hat auch auf der digitalen Jobbörse der Arbeitsagentur Würzburg oder der Arbeitsagentur Schweinfurt gute Chancen.
Karriereplanung
Messehalle mit Ständen von Firmen

Jobmessen 2024 in Würzburg und Umgebung

Wo es bereits bestätigte und geplante Jobmessen dieses Jahr in Würzburg und Umgebung gibt, zeigen wir hier.
Karriereplanung
Frau kassiert eine Bestellung via Kartenleser ab

Die aktuellen Studentenjobs / Nebenjobs der Region im Überblick

Wie komme ich während des Studiums, der Schule oder keiner festen Beschäftigung an Geld? Hier führen wir aktuelle Nebenjobs, Aushilfsjobs und Studentenjobs in Unterfranken und Oberfranken auf.
Karriereplanung