02.07.2024 ● JP
Flexibles Arbeitszeitmodell im Handwerk: Karosseriebauer aus Franken seit 1990 damit erfolgreich
Stellen Sie sich vor, sie kämpfen ständig um gute Mitarbeiter und kaum sind diese von Ihnen ausgebildet worden und bereit, den Handwerksbetrieb auf lange Sicht zu unterstützen, flattert die Kündigung des Mitarbeiters ins Büro. Sie wechseln zu einem Unternehmen, das besser zahlt, vermeintlich schönere Arbeitsbedingungen bietet und meist viel mehr Personal zählt.
Sobald die Mitarbeiter ein Haus kauften, wechselten sie in die Industrie
So geht es vielen Handwerksbetrieben in Unterfranken und Oberfranken noch heute, obwohl es sich um ein altes Problem zwischen Industrie und Handwerk handelt. Peter Scholz von Karosseriebau Scholz in Zeil am Main musste die Erfahrung bereits in den späten 1980ern machen. „Die Leute waren immer bis zu einem Alter von etwa Mitte 30 bei uns. Dann haben sie ein Haus gebaut und sind in die Industrie gewechselt. Dort konnten die Angestellten in Schicht arbeiten und davor oder danach noch an ihrem Haus werkeln“, sagt Scholz. Seine ehemaligen Mitarbeiter wurden – gut ausgebildet – dann einfach ans Band gestellt. Laut dem Karosseriebauer ein Unding und Verschwendung von Fähigkeiten.
Als Hauptkündigungsgrund nannten die Mitarbeiter meist die Arbeitszeit, es haperte damit am bestehenden Arbeitszeitmodell. „Im Handwerksbetrieb musste man halt mal eine Überstunde machen, da war am Freitag um 14 Uhr nicht immer Schluss.“ Scholz brütete über der Problemstellung, ein ganzes Jahr lang. Heraus kam ein Arbeitszeitmodell, in dem seine Mitarbeiter nur noch vier Tage pro Woche bei vollem Gehalt arbeiten mussten. Statt jeden Tag acht Stunden zu Arbeiten stellte er seine Mitarbeiter in zwei Teams auf. Die einen arbeiten von Montag bis Donnerstag, die anderen von Dienstag bis Freitag, immer Arbeitstage von 9,5 Stunden. Dazu gibt es eine Gleitzeit, um die hohe Stundenanzahl pro Tag auch mal früher oder später zu starten. Die Arbeitszeit wurde nicht gekürzt, sondern lediglich anders organisiert. Das Scholzsche System griff noch tiefer, ermöglichte es Mitarbeitern, ganze vier Tage am Stück frei zu bekommen und hatte sogar eine Lösung für Wochen mit Feiertagen, die für alle Mitarbeiter fair waren.
Erst nur aus der Sicht der Mitarbeiter geplant, später zeigten sich die Vorteile für den Handwerksbetrieb
„Am Anfang habe ich das nur aus der Perspektive eines Arbeitnehmers geplant, damit die endlich in meinem Betrieb bleiben.“ Er ließ seine Belegschaft sogar über das Modell abstimmen, um seine Angestellten zu involvieren. Die Idee, die Scholz einige schlaflose Nächte kostete, zahlte sich am Ende nicht nur für die Mitarbeiter aus, sondern für den Arbeitgeber.
In der Praxis war vor allem der Start ins Wochenende ein Gewinn: „Am Freitag hatte immer die Qualität gelitten, weil die meisten zur Mittagszeit heim wollten. Anstatt aber am Freitag die ganze Belegschaft bis zum Mittag zu beschäftigen, war jetzt das halbe Team bis abends da. Der ganze Druck des frühen Feierabends am Freitag war weg. Das hat die Qualität in die Höhe getrieben.“ Außerdem konnte durch die 9,5-Stunden-Arbeitstage die unternehmerische Effektivität erhöht werden: „Meine Maschinen, also meine Investitionen, laufen länger am Tag und sind dadurch besser ausgelastet.“
Flexibel ist das Handwerk gegenüber Kunden seit jeher, doch bei den Arbeitszeiten nicht immer arbeitnehmerfreundlich: „Handwerksbetriebe mit angeschlossenem Ladengeschäft beispielsweise sind zu gängigen Geschäftszeiten geöffnet. Aber auch wenn ein Kunde einen Notfall hat, ist der Handwerker zur Stelle. Das gehört zum Selbstverständnis in vielen Handwerksberufen dazu“, bestätigt der Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer für Unterfranken, Ludwig Paul.
Handwerkskammer Unterfranken: "Digitalisierung verändert Arbeitszeitmodelle"
Das macht Planbarkeit und große Gleitzeitmöglichkeiten oft nicht ganz einfach. Paul erkennt trotzdem eine Verbesserung in den letzten Jahren: „Einiges verändert die Digitalisierung. So werden beispielsweise im Handwerk verbreitet auch Softwarelösungen und Smartphone-Apps zur Zeiterfassung eingesetzt und ermöglichen eine einfache individuelle Anpassung der Arbeitszeiten an Bedürfnisse der Mitarbeiter.“
Der Vorstoß von Peter Scholz‘ Arbeitszeitmodell in den 90ern kam nicht überall an. „In Würzburg haben sie mir direkt gesagt, man könne doch einen Betrieb am Freitag nicht einfach schließen durch die Vier-Tage-Woche. Das habe ich aber selbst auch nie getan“. Sogar die Gewerkschaften rüsteten sich für ein Streitgespräch. „Die Leute sollten deren Meinung nach vier Tage nur 7,5 Stunden und nicht 9,5 Stunden arbeiten. Und das bei vollem Gehalt. Wie soll das gehen? Das sind einfach keine Kaufleute“, erinnert sich der Zeiler schmunzelnd.
Peter Scholz vermutet, dass "viele Handwerksbetriebe den Aufwand dahinter scheuen"
Warum nutzen heute, über 30 Jahre später, nicht viel mehr fränkische Handwerksbetriebe sein Modell? Dazu hat der Unternehmer, der aus der Großindustrie kommt und unter anderem in Persien gearbeitet hat, eine Vermutung: „Viele scheuen den Aufwand dahinter. Das Modell umzudenken, das umzustricken. Die Mitarbeiter mitzunehmen.“ Schließlich müsse man dafür Gleitzeitkonten einrichten. Das ist ein Mehraufwand, vor allem für kleine Betriebe, die raus zum Kunden müssen und keine Zeit haben.
Viele Handwerker der Region sind laut Karosseriebauer Scholz aber auch „sehr linienbehaftet.“ Frei nach dem Motto: Was der Vater gemacht hat, mache ich auch so. Der mittlerweile 79-jährige Senior-Chef weiß aus Erfahrung: „Da muss man schon mit der Zeit gehen. Sonst gibt es einen Betrieb irgendwann einfach nicht mehr.“
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